Unternehmensnachfolge & ERP: Mittelständler profitieren vom Digitalisierungswillen der Millenials

Wenn die junge Generation in einem Unternehmen aufrückt, stößt sie häufig auch wichtige Digitalisierungs- und Innovationsprojekte an. Eines der zentralen Digitalisierungsvorhaben ist eine ERP-Einführung. Schließlich werden hier die Weichen für die Prozesse der nächsten fünf bis zehn Jahre gestellt. Ist ein Generationenwechsel also ein guter Zeitpunkt, um auch ein ERP-Projekt anzugehen? Wir haben mit einem Experten gesprochen, der mit dem Thema vertraut ist. Moritz Weissman ist Geschäftsführer der Strategieberatung Weissman & Cie. und berät mittelständische Unternehmen bei der Unternehmensnachfolge und allen damit verbundenen Themen.

Unternehmensnachfolge & ERP: Das sind die Tipps für ein erfolgreiches Projekt

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„Neue Besen kehren gut“, weiß der Volksmund. Und tatsächlich ist in Firmen, in denen kürzlich in der Chefetage ein Generationenwechsel stattgefunden hat, eine ganz neue Dynamik zu spüren. Studien stützen diesen Zusammenhang zwischen Innovationsbereitschaft und Lebensalter: Je jünger ein Unternehmenslenker, desto höher seine Innovations- und Investitionsbereitschaft, hat KfW Research in seiner Demografie-Studie herausgefunden. Beide Eigenschaften sind wesentlich für den Erfolg und das Wachstum eines Unternehmens. Denn wer sein Unternehmen nicht permanent weiterentwickelt, dem droht langfristig der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit.

Die Übernahme gelingt am besten, wenn Jung und Alt kooperieren

Die gute Nachricht ist: Ist die Unternehmensnachfolge in einem Unternehmen gesichert, dann steigt auch die Investitionsbereitschaft wieder deutlich an, selbst wenn noch der Senior am Ruder ist. Ein Investitionsplus von 40 Prozent haben die KfW-Forscher für die Konstellation berechnet, in der eine Firma innerhalb der nächsten zwei Jahre übergeben wird und in denen die Nachfolge geregelt ist. Ältere Unternehmenslenker sind also nicht per se weniger innovationsbereit, sondern stoßen Innovationsprojekte nur seltener an. Die Erfahrung der Älteren, gepaart mit der Risikofreude der Jüngeren scheint dagegen eine Kombination zu sein, die das Wachstum eines Unternehmens positiv beeinflusst.

„Eine Parallelphase im Zuge des Führungswechsels hat viele Vorteile: Die Übergabe erfolgt meist wesentlich strukturierter, der Senior kann alle wichtigen Aufgaben und Kontakte geordnet übergeben, der Junior kann sukzessive Verantwortung übernehmen.“

Moritz Weissman
Geschäftsführer, Weissman & Cie.

Auch Moritz Weissman, Geschäftsführer der Firma Weissman & Cie., hält ein kooperatives Modell, bei dem der bisherige und der zukünftige Geschäftsführer für eine gewisse Zeit gemeinsam im Unternehmen arbeiten, für die beste Lösung bei einer Unternehmensnachfolge. Er berät mittelständische Familienunternehmen zu den Themen Strategie, Organisation & Prozesse, Führung und Nachfolge. „Eine Parallelphase im Zuge des Führungswechsels hat viele Vorteile: Die Übergabe erfolgt meist wesentlich strukturierter, der Senior kann alle wichtigen Aufgaben und Kontakte geordnet übergeben, der Junior kann sukzessive Verantwortung übernehmen, dem Erfahrenen über die Schulter schauen und das Unternehmen kennenlernen.“ Für die Dauer der Parallelphase sollten aus Sicht von Moritz Weissman allerdings die Kompetenzen klar aufgeteilt sein: „Es braucht eine eindeutige Aufgabenteilung. Nur wenn klar ist, wer für welche Themen verantwortlich ist, kann die generationsübergreifende Zusammenarbeit funktionieren.“

Moritz Weissman ist Geschäftsführer von Weissman & Cie., einer Strategie- und Organisationsberatung mit Sitz in Nürnberg.

Nachfolger treiben Digitalisierungs- und Innovationsprojekte

Häufig fallen innovationsgetrieben Themen wie IT oder Produktentwicklung in die Zuständigkeit von jungen Unternehmenslenkern – wenn man sich die KfW-Studie anschaut, ist das kein Zufall. Die Unternehmensberatung Deloitte empfiehlt in der Zusammenfassung ihrer Studie NextGen-Umfrage sogar ausdrücklich, Nachfolger mit Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Industrie 4.0 zu betrauen, mit denen sie sich profilieren können. Auch Moritz Weissman sieht in dieser Aufgabenverteilung nur Vorteile: „Viele junge Unternehmenslenker haben einen direkteren Zugang zu Themen wie Digitalisierung und einen ganz anderen Einblick in aktuelle Technologien und Trends. Sie wissen, was in anderen Unternehmen umgesetzt wird und bringen neue, gute Impulse ein.“

Wer von Digitalisierung spricht, kommt man am Thema ERP nicht vorbei. Denn ein ERP-Projekt gehört zu den wichtigsten und zugleich ressourcenintensivsten IT-Projekten, die ein Unternehmen stemmen kann. Gleichzeitig ist es noch sehr viel mehr als ein IT-Projekt. Denn hier geht es nicht nur um IT- und Technologiethemen, sondern vielmehr um die Grundlagen eines Unternehmens. „Ein ERP-Projekt ist die perfekte Möglichkeit für einen Nachfolger, ein Unternehmen grundlegend kennenzulernen: Man muss sich mit der Wertschöpfungskette, mit allen Prozessen und mit allen Strukturen auseinandersetzen“, so Moritz Weissman. Wenn also ein ERP-Projekt ansteht, sollte man die junge Generation unbedingt einbinden, so seine Empfehlung. „Jüngere hinterfragen gerne Bestehendes und möchten Dinge besser und anders machen. Das ist eine Kernqualifikation, die man auch in ERP-Projekten braucht. Denn einer der klassischen Fehler bei einer ERP-Neueinführung ist, eine neue Technologie einzuführen, aber die Prozesse und Strukturen genauso zu lassen, wie sie schon immer waren. Man bildet also die alten Prozesse mit einem neuen System ab.“

Expertentipp

Unternehmensnachfolge & ERP – das sind die Tipps des Experten

  1. Setzen Sie – wenn möglich – auf ein kooperatives Modell bei der Unternehmensnachfolge.
  2. Definieren Sie klare Zuständigkeiten und respektieren Sie die Entscheidungen des jeweils anderen.
  3. Geben Sie Themen in die Hände Ihres Nachfolgers, mit denen er oder sie sich profilieren kann.
  4. Sehen Sie den Gestaltungswillen Ihres Nachfolgers als Chance und nicht als Bedrohung.
  5. Beziehen Sie ihn oder sie in Änderungsprozesse und strategisch wichtige Projekte wie eine ERP-Einführung ein.
  6. Nutzen Sie die Außensicht auf Ihr Unternehmen, um Bestehendes kritisch zu hinterfragen.
  7. Seien Sie offen für neue Technologien und Geschäftsmodelle. Jüngere haben häufig einen direkteren und intuitiveren Zugang zum Markt und zu den Kunden.
  8. Nutzen Sie Technologievorhaben wie ein ERP-Projekt immer auch für eine Überprüfung Ihrer bisherigen Strukturen und Prozesse. Eine neue Technologie einzuführen und ansonsten alles beim Alten zu belassen, führt oft nicht zu den erhofften Verbesserungen.

Ein neues ERP-System sollte die Geschäftsprozesse der Zukunft abbilden

Auf diese Weise bleibt nicht nur das Innovationspotenzial der neuen Software ungenutzt, ein solches Vorgehen macht ein ERP-Projekt auch unnötig lang und komplex. „Bei Digitalisierungsvorhaben im Allgemeinen und bei ERP-Projekten im Besonderen sollte die Kernfrage immer lauten: Bilde ich meine bestehenden Prozesse wie bisher ab und gehe davon aus, dass alles so bleibt, wie es ist, nur technologisch besser? Oder gehe ich davon aus, dass mein Geschäft sich grundlegend ändert, dass ich neue Geschäftsmodelle und Prozesse etablieren muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben?“, so Moritz Weissman.

„Jüngere hinterfragen gerne Bestehendes und möchten Dinge besser und anders machen. Das ist eine Kernqualifikation, die man auch in ERP-Projekten braucht.“

Moritz Weissman
Geschäftsführer, Weissman & Cie.

Die Antwort gibt er anhand eines konkreten Beispiels: „Einer unserer Kunden hat vor einem geplanten ERP-Projekt ein Expertenteam mit den besten Leuten aus allen Fachbereichen gebildet. Die Aufgabe dieser Experten war es, die Geschäftsprozesse der Zukunft zu modellieren. Das waren bewusst keine IT-Spezialisten, sondern Leute aus den Fachabteilungen, die verstehen, wie die Kunden des Unternehmens funktionieren, wie der Markt funktioniert und wie das Unternehmen funktioniert.“

Die digitale Wirtschaft rückt den Kunden stärker in den Mittelpunkt

Vor allem die Anforderungen der Kunden und des Marktes kämen in vielen Digitalisierungsprojekten des Mittelstandes zu kurz. „Viele unserer mittelständischen Kunden fragen sich, wenn es um Digitalisierung geht: Was muss ich tun, damit mein Unternehmen auch in zehn oder zwanzig Jahren noch gut dasteht? Das ist ein sehr unternehmenszentrierter Ansatz, denn hier geht es in erster Linie darum, etwas Bestehendes besser zu machen und Produkte qualitativ weiterzuentwickeln.“

Weissman & Cie. berät mittelständische Unternehmen bei der Unternehmensnachfolge und allen damit verbundenen Themen.

Aus Sicht von Moritz Weissman ist das nicht verkehrt. Aber ergänzend dazu sollten sich Unternehmen häufiger die Frage stellen: Wer ist mein zukünftiger Kunde? Welche Bedürfnisse hat dieser Kunde von morgen? Welches Problem möchte er gelöst haben? Und welches Geschäftsmodell wäre geeignet, dieses Problem zu lösen? „Dieser Ansatz rückt eher den Kunden in den Mittelpunkt – ein Aspekt, der in der digitalen Wirtschaft eine noch stärkere Rolle spielen wird“, so Moritz Weissman. Kundenfokussierung statt Unternehmenszentrierung – traditionelle Mittelständler könnten sich bei diesem Ansatz durchaus einiges von Start-ups und angloamerikanischen Unternehmen abschauen.

Nachfolger sehen Defizite beim Thema Digitalisierung

Wer keinen eigenen ThinkTank unterhält, der kann auf das Innovationspotenzial des eigenen Nachwuchses zurückgreifen. Wenn es auch in einem ERP-Projekt darum geht, herkömmliche Vorgehensweisen auf den Prüfstand zu stellen und Prozesse ganz neu zu denken, dann müsste die Generation der Unternehmensnachfolger prädestiniert dafür sein, sich aktiv in ein ERP-Projekt einzubringen. „Nachfolger können vor allem bei der Neumodellierung von Prozessen und bei der Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle eine tragende Rolle in einem ERP-Projekt spielen“, erklärt Moritz Weissman.

„Bei ERP-Projekten sollte die Kernfrage immer lauten: Bilde ich meine bestehenden Prozesse wie bisher ab […] oder gehe ich davon aus, dass mein Geschäft sich grundlegend ändert, dass ich neue Geschäftsmodelle und Prozesse etablieren muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben?“

Moritz Weissman
Geschäftsführer, Weissman & Cie.

Zusätzlich können Unternehmensnachfolger auch wichtige Treiber und Impulsgeber sein, wenn es um das Thema Digitalisierung und ERP geht. „Jungunternehmer sehen eher den Bedarf für ein neues ERP, wenn sie von außen ins Unternehmen kommen“, so Moritz Weissman. Häufig benennen sie die Defizite beim Thema Digitalisierung auch klarer als ihre Vorgänger. Nur 41 Prozent der jungen Unternehmer glauben beispielsweise, dass ihre Digitalstrategie zeitgemäß ist und das Geschäftsmodell der Firma optimal unterstützt. Gerade weil sie die Zukunft stärker im Blick haben und auf neue Geschäftsmodelle setzen, drängen sie häufiger auf eine Plattform, die das geplante Wachstum und die geplante Neuausrichtung unterstützt.

Junior-Chefs sollten sich aktiv in ein ERP-Projekt einbringen

Treiber, Impulsgeber, Modellierer, Unterstützer – das sind die Rollen, die Moritz Weissman für Nachfolger sieht. „Die künftigen Unternehmenslenker sollten sich unbedingt aktiv in das Projekt einbringen – auch weil ein ERP-Projekt sich perfekt dafür eignet, ein Unternehmen in allen Facetten kennenzulernen und zu verstehen.“ Auch wichtige strategische Entscheidungen sollten nicht ohne die künftige Unternehmensleitung gefällt werden. „Schließlich werden hier die Weichen für die nächsten Jahre gestellt.“ Die operative Verantwortung sollte aus seiner Sicht ein erfahrener Projektleiter übernehmen. „Ein ERP-Projekt ist zu wichtig, als dass ich es jemandem ohne Erfahrung übertragen würde.“

Über Moritz Weissman

Moritz Weissman ist Geschäftsführer von Weissman & Cie., einer Strategie- und Organisationsberatung mit Sitz in Nürnberg. Weissman & Cie. ist die führende Beratung für Familienunternehmen und wid­met sich seit über 30 Jahren dieser Aufgabe – in bisher mehr als 3.000 Projekten und oft über einen langen Zeitraum. Um zu messbaren Ergebnissen zu gelangen, greifen dabei Strategieberatung, Organisationsentwicklung, Prozessverbesserung, Führung und Begleitung der Unternehmerfamilie ineinander. Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften war er als Berater und Gründer aktiv, bevor er 2013 in das Familienunternehmen eintrat.

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