Unternehmensnachfolge & ERP: Wenn der Juniorchef ein SAP-Projekt leitet
Wenn die junge Generation in einem Unternehmen aufrückt, stößt sie häufig auch wichtige Digitalisierungs- und Innovationsprojekte an. Eines der zentralen Digitalisierungsvorhaben ist eine ERP-Einführung. Schließlich werden hier die Weichen für die Prozesse der nächsten fünf bis zehn Jahre gestellt. Ist ein Generationenwechsel also ein guter Zeitpunkt, um auch ein ERP-Projekt anzugehen? Wir haben mit einem Experten gesprochen, der mit dem Thema vertraut ist. Mirko Tuchel ist Geschäftsführer von Tuchel & Sohn, einem Hersteller von natürlichen Süßungsmitteln mit Sitz in Hamburg. Zwei Jahre nach seinem Eintritt in das Unternehmen hat er ein SAP S/4HANA-Projekt initiiert und erfolgreich geleitet.
Unternehmensnachfolge & ERP: Das sind die Tipps des Experten
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Herr Tuchel, Sie führen seit 2017 gemeinsam mit Ihrem Vater in fünfter Generation das Familienunternehmen Tuchel & Sohn. Davor haben Sie in einer großen Unternehmensberatung gearbeitet. Wie haben Sie den Wechsel erlebt
Mein Einstieg in die Geschäftsführung von Tuchel & Sohn war kein Sprung ins kalte Wasser. Ich war schon zuvor in das Unternehmen involviert. Trotzdem war nicht von Anfang an klar, dass ich das Unternehmen einmal leiten werde. Das Thema Nachfolge stand immer wieder einmal im Raum, aber es gab keinen Erwartungsdruck von Seiten meiner Familie.
Ich habe mich zunächst bewusst für den Berufseinstieg in einem Konzern entschieden, weil mich die Diversität und Vielseitigkeit der Beratungsbranche gereizt hat. Die Unterschiede zwischen einem Global Player und einem Mittelständler wie Tuchel & Sohn bei Themen wie Verantwortung, Struktur, Hierarchie und Arbeitsteilung sind teilweise beträchtlich. Aber von dieser anderen Perspektive habe ich durchaus auch für meine jetzige Position profitiert.
Welche Impulse haben Sie aus Ihrer Zeit als Consultant in Ihre jetzige Position eingebracht?
Hilfreich für meine jetzigen Aufgaben war sicherlich, dass man in einer Unternehmensberatung Einblicke in viele verschiedene Branchen, Unternehmen und Prozesse erhält. Auch bei den internen Prozessen kann man sich einiges abschauen. Internationale Konzerne machen vor, wie effektives Onboarding oder effizienter Wissenstransfer funktioniert.
Das bedeutet nicht, dass sich KMUs ausschließlich an Konzernen orientieren sollten, denn die Anforderungen und Umstände sind im Mittelstand gänzlich anders. Aber ich habe viele Ideen und Impulse aus dieser Zeit mitgenommen und um setze sie heute in kleinerem Maßstab in unserem Unternehmen um.
„Automatisierung und Digitalisierung sind sicher in vielen Bereichen möglich und sinnvoll, sollten aber immer in ein Gesamtkonzept eingebettet sein. Nur so führen Digitalisierungsinitiativen zu einem nachhaltigen Erfolg.“
Mirko Tuchel
Geschäftsführer, Tuchel & Sohn GmbH
Welche Themen sind das? Und warum sind Sie Ihnen wichtig?
Innerhalb der letzten vier Jahre haben mein Vater und ich eine Vielzahl von kleinen und großen Optimierungsprojekten angestoßen. Die Themen reichen von Digitalisierung – die momentan von jedem Unternehmen mehr oder weniger erfolgreich umgesetzt wird – betreffen aber auch allgemeine Unternehmensprozesse wie die Produktion oder die Kundenbetreuung. Auch hier können wir uns als Hersteller an erfolgreichen Dienstleistern orientieren.
Expertentipp
ERP-Einführung bei Tuchel & Sohn – das sind die Tipps von Mirko Tuchel für ein erfolgreiches Projekt
- Digitalisierungsvorhaben im Allgemeinen und ein ERP-Projekt im Speziellen sollten immer in ein Gesamtkonzept eingebettet sein, damit sie zum Erfolg führen.
- Eine ERP-Lösung sollte die Agilität bieten, nicht nur kurzfristige Optimierungen umzusetzen, sondern auch Potenzial für alle künftigen Anpassungen bieten.
- Umgekehrt sollten Unternehmen ein ERP-Projekt auch tatsächlich nutzen, um ihre Prozesse und Strukturen auf den Prüfstand zu stellen – und nicht nur die Technologie austauschen.
- Unternehmen sollten bereits eine Vorstellung der optimierten Prozesse habe, bevor sie in ein ERP-Projekt starten.
- Entsprechend sollte man ausreichend Zeit für die Analyse der bestehenden Prozesse im Vorfeld einplanen.
- Aktives Change Management ist wesentlich für ein erfolgreiches ERP-Projekt. Nicht jede Änderung, die sinnvoll erscheint, ist auch umsetzbar.
- Änderungen, die sinnvoll und umsetzbar sind, können immer noch am Widerstand der User scheitern. Deshalb ist es wichtig, Akzeptanz für das Projekt bei den Usern zu schaffen.
- ERP-Projekte, die zu konkreten Verbesserungen in der täglichen Arbeit der User führen, erhöhen automatisch die Akzeptanz für künftige Änderungsvorhaben.
Stichwort Optimierung: Eines der größeren Optimierungsprojekte war die Einführung eines neuen SAP S/4HANA-Systems. Warum war Ihnen das Thema ERP so wichtig?
Die alte ERP-Lösung hat nicht mehr unseren Ansprüchen genügt. Mit einer Optimierung einher geht ja eine Neugestaltung vieler Prozess und Strukturen im Unternehmen. Deshalb wollten wir für die Zukunft eine Lösung, die diese neuen Prozesse und Strukturen berücksichtigt oder überhaupt erst ermöglicht. Unser Ziel war es außerdem, eine offene Platform zu haben, die von vielen Drittsystemen unterstützt wird und eine hohe Verbreitung im Markt aufweist. Mit unserem Legacy-System hatten wir uns zu 100 Prozent an den Softwarepartner gebunden. Das wollten wir bei der Neueinführung vermeiden und haben uns deshalb für SAP S/4HANA entschieden.
„Wenn man Änderungen anstößt, muss man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und seine Vorgänger mitnehmen, ihre Einwände ernst nehmen und Prozesse ergebnisoffen prüfen. Nur so schafft man Akzeptanz für ein so grundlegendes Projekt wie eine SAP-Neueinführung.“
Mirko Tuchel
Geschäftsführer, Tuchel & Sohn GmbH
Sie haben das ERP-Projekt nicht nur im Lenkungsausschuss unterstützt, sondern waren als Projektleiter aktiv involviert. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, das Thema zur Chefsache zu machen?
Entweder unternimmt man die Umsetzung mit einem externen Projektleiter, der die eigenen Prozesse nicht wirklich kennt oder man versucht es über eine interne Aufteilung. Die Herausforderung bei der Einführung eines ERP-Systems ist aber vor allem, dass die umzusetzenden Prozesse abteilungsübergreifend sind und wir mit einem neuen System auch einen Grundstein für ein neues Arbeiten legen wollten.
Das setzt voraus, dass ich eine konkrete Vorstellung der optimierten Prozesse habe und die bestehenden Prozesse sehr genau kenne. Deshalb hat es auch bei uns 1 bis 2 Jahre gedauert, bis wir die Entscheidung für ein neues ERP-System gefällt haben.
Unternehmensnachfolger sollten also aus Ihrer Sicht nicht den Elan, den sie beim Eintritt in die Firma mitbringen, sofort in ein Projekt umsetzen?
Neue Impulse sind gut, aber ein ERP-Projekt tangiert die gesamte IT-Landschaft und sollte wohl überlegt sein. Aus meiner Erfahrung braucht es ein bis zwei Jahre, bis man ein Unternehmen und seine Prozesse wirklich verstanden hat. Diese Zeit sollte man sich nehmen und erst einmal die bereits bestehenden Unternehmensprozesse nachvollziehen, bevor man an die Optimierung geht.
Automatisierung und Digitalisierung sind sicher in vielen Bereichen möglich und sinnvoll, sollten aber immer in ein Gesamtkonzept eingebettet sein. Nur so führen Digitalisierungsinitiativen zu einem nachhaltigen Erfolg. Ohne ein solches Konzept entsteht ein Flickenteppich an Insellösungen oder man muss bereits umgesetzte Lösungen nachträglich anpassen.
Neben dem Wissen, das man sich als Junior-Chef aneignen muss, braucht es für ein solches Projekt auch ein hohes Maß an Akzeptanz unter den Mitarbeitern. Wie haben Sie das erreicht?
Disruption und Änderungsprozesse zu managen ist für ein solches Projekt enorm wichtig. Wenn man neu in ein Unternehmen kommt und dort Verantwortung übernimmt, möchte man gerne vieles gestalten und bewegen. Aber nicht alles, was einem obsolet oder ineffizient erscheint, lässt sich problemlos verändern. Und nicht alles, was man ändern kann, sollte man tatsächlich umsetzen.
Denn häufig sind gerade in Familienunternehmen die Prozesse über einen langen Zeitraum gewachsen. Und nicht alles, was vorher galt, sollte man über Nacht in Frage stellen. Es gibt Prozesse, die einem nicht sofort einleuchten, die aber ihre Daseinsberechtigung haben – etwa weil rechtliche oder konzeptionelle Gründe dafür sprechen.
Wenn man also Änderungen anstößt, muss man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und seine Vorgänger mitnehmen, ihre Einwände ernst nehmen und Prozesse ergebnisoffen prüfen. Nur so schafft man Akzeptanz für ein so grundlegendes Projekt wie eine SAP-Neueinführung. Wenn die Mitarbeiter merken, dass man nicht über ihre Köpfe hinweg entscheidet, dann lassen sie sich leichter auf Veränderungsprozesse ein.
Nicht zuletzt dank dieses erfolgreichen Change Managements und Ihres Einsatzes als Projektleiter konnte die SAP-Einführung gemeinsam mit Ihrem Partner Innovabee sehr erfolgreich umgesetzt werden. Wie wesentlich war der Projekterfolg für den Unternehmenserfolg von Tuchel & Sohn?
Mit der Neueinführung eines ERP-Systems ist meiner Erfahrung nach selten ein kurzfristiger Erfolg verbunden. Das war auch nicht unser Ziel. Wir sehen die Einführung als Investition in die Zukunft. Denn viele der Prozesse und Strukturen, die wir ändern wollten, hat SAP S/4HANA überhaupt erst möglich gemacht.
Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit dem, was wir zusammen mit Innovabee realisiert haben. Durch die Echtzeitdaten und den hohen Grad an Automatisierung laufen viele Prozesse heute runder. Als Geschäftsführer habe ich ein Höchstmaß an Transparenz und weiß jederzeit, wo sich welche Charge befindet und wann sie verarbeitet wird. Auf Basis der Informationen, die mir das System liefert, kann ich sehr viel bessere Entscheidungen treffen als zuvor.
„Bei allen Veränderungsprojekten muss man die Menschen im Unternehmen eng einbinden. Das gilt in Familienunternehmen noch sehr viel mehr als in einem Konzern, weil hier die Mitarbeiter oft schon seit vielen Jahren sehr eng in die Prozesse involviert sind.“
Mirko Tuchel
Geschäftsführer, Tuchel & Sohn GmbH
Welche Prozesse konnten Sie im Zuge der Einführung optimieren oder automatisieren?
Wir haben das Projekt genutzt, um viele unserer Prozesse zu optimieren und anzupassen. Darunter fallen unter anderem die Disposition, die Etikettierung, der Warenfluss oder die Produktionsplanung. In der Disposition haben wir einen durchgängigen Prozess von der Bedarfsplanung über den Kundenauftrag bis zur Bestellung etabliert, bei dem am Ende die Bestellung automatisch generiert wird. In der Qualitätssicherung profitieren wir mit SAP S/4HANA von einem System, das schneller arbeitet als alle anderen Informationsquellen, die wir bisher dafür verwendet haben. Die Etikettenausgabe läuft heute ebenfalls komplett über SAP S/4HANA. Daneben profitieren wir auch von Synergien, weil viele Prozesse besser ineinandergreifen als vorher. Die Finanzbuchhaltung ist – anders als früher – heute in unsere Warenwirtschaft integriert. Die Eingangsware wird dadurch automatisch mit der Eingangsrechnung verknüpft.
Neben den bisher umgesetzten Optimierungen sehen wir aber auch für die Zukunft ein enormes Potenzial, das uns die Lösung eröffnet. Mit der SAP S/4HANA-Lösung als Basis werden wir künftig noch weitere Optimierungen angehen und wissen, dass uns die SAP-Technologie dabei unterstützt.
Neben der SAP S/4HANA-Einführung haben Sie in den vergangenen vier Jahren noch viele weitere Veränderungen vorangetrieben. Welche Erfahrungen nehmen Sie aus dieser Phase mit?
Das, was uns ausmacht – unsere Tätigkeit und unser Portfolio – sind gleichgeblieben. Daneben hat sich in den letzten Jahren tatsächlich fast alles geändert. Bei allen Veränderungsprojekten muss man die Menschen im Unternehmen eng einbinden. Das gilt in Familienunternehmen noch sehr viel mehr als in einem Konzern, weil hier die Mitarbeiter oft schon seit vielen Jahren sehr eng in die Prozesse involviert sind. Von außen zu kommen und zu sagen: „Das machen wir ab jetzt anders“ funktioniert nicht. Man muss versuchen, den Beteiligten den Sinn der Änderung deutlich zu machen, aber manchmal eben auch selbst zurückstecken und Kompromisse schließen. Ich denke, das haben wir in den letzten Jahren sehr gut hinbekommen. Wenn die Veränderungen dann noch, wie bei SAP S/4HANA, zu merklichen Arbeitsoptimierungen führen, steigt auch die Akzeptanz für weitere Projekte.
Über Mirko Tuchel
Vor vier Jahren trat Mirko Tuchel in die Geschäftsführung des Hamburger Herstellers und Lieferanten von natürlichen Süßungsmitteln – Tuchel & Sohn – ein. Er leitet das Unternehmen gemeinsam mit seinem Vater in fünfter Generation. Davor war er als Consultant in einer globalen Unternehmensberatungsgesellschaft tätig. Mirko Tuchel hat ein Studium in den Fächern Rechtswissenschaften, Philosophie und Business Administration absolviert.